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Warum Selbstliebe nicht eigennützig ist

 

Von Poorna Bell 

 

Der preisgekrönten Journalistin und Autorin Poorna Bell fällt es leicht, nett und herzlich zu sein. Doch ist sie genauso gut zu sich selbst, wie zu anderen? Nein, in dieser Abteilung hat sie mit Schwierigkeiten zu kämpfen. In diesem Artikel verrät sie, was Herzlichkeit für sie bedeutet und wie sie über die Jahre gelernt hat, dass man vor Selbstliebe nicht zurückschrecken muss. Manchmal ist es einfach wichtig – und tatsächlich uneigennützig – sich selbst zu priorisieren.

 

Im Allgemeinen verstehen wir unter Nettigkeit und Herzlichkeit etwas, das wir anderen gegenüber zeigen: eine nette Geste, die oft gar nicht groß erwähnt wird, ohne dafür eine Belohnung oder gar ein Dankeschön zu erwarten. Das bedeutet jedoch, dass wir kaum darüber sprechen können, wie nett wir doch sind, ohne falsche Bescheidenheit zu zeigen. Für mich ist es nicht schwer, nett und herzlich zu anderen zu sein. Es fällt mir leicht zu sehen, was andere Menschen benötigen, ob das ein frierender Obdachloser im Winter ohne Mantel ist, oder jemand, der einfach nur Trost oder Zusicherung braucht, dass alles ok wird (auch wenn man nicht weiß, ob das wirklich stimmt).

 

Doch Herzlichkeit ist keine Einbahnstraße – kein Verhalten, das nur anderen Personen entgegengebracht wird. Es ist eine 360-Grad-Erfahrung, die auch Selbstliebe beinhaltet. Und wenn es darum geht, wie nett und herzlich ich zu mir selbst bin, weiß ich genau, dass es in der Vergangenheit mehr als genug Momente gab, in denen ich in diesem Bereich definitiv versagt habe. Ich habe nicht darauf geachtet, wie viel Schlaf ich brauche und ob ich mir vielleicht zu viele gesellschaftliche Verpflichtungen aufhalse, wenn ich mich doch eigentlich nur ausruhen möchte. Und dann gibt es da natürlich noch den konstanten Monolog mit meinem inneren Kritiker.

 

Wir alle sind viel zu selbstkritisch und hören diese innere Stimme, die einen Stück für Stück auseinander nimmt. Sie stellt in Frage, ob wir schlau genug oder witzig genug sind, ob wir hart genug arbeiten, weil wir ja sonst faul aussehen könnten. Wenn wir etwas erreicht haben, lässt uns unserer innerer Kritiker gerne daran zweifeln, ob wir das auch wirklich verdient haben.

 

Diese Stimme ist so sehr ein Teil von uns, dass wir manchmal gar nicht merken, dass sie spricht. Es ist viel Arbeit, sich dessen bewusst zu werden und sich davon zu distanzieren, doch wenn man regelmäßig nett zu sich selbst ist, stellt man schnell fest, dass das gar nicht eigennützig ist. Im Gegenteil, Selbstliebe ist unglaublich wichtig.

 

Vor ein paar Monaten war ich in einer Situation, wo ich jemanden verärgert hatte, und das löste eine Reihe an negativen Gedanken aus. Ich dachte, ich sei die schlimmste Person der Welt, völlig nutzlos und verdiene keine Freunde. Dann habe ich realisiert, dass ich gerade wirklich nicht nett zu mir bin. Ich wurde mir dessen aktiv bewusst und konnte daher mein Verhalten mir selbst gegenüber ändern.

 

Ich begann den Prozess, mehr Selbstliebe zu praktizieren, ganz unterbewusst vor ein paar Jahren. Ich dachte immer, es sei normal, zu jeder Stunde zu arbeiten und sich manchmal überfordert zu fühlen. Oder auch, dass mein persönlicher Kalender immer Wochen im Voraus ausgebucht war. Irgendwann wurde mir klar, dass es in der Tat nicht normal war, sich ständig kurz vor einem Burnout zu fühlen. So konnte es nicht weitergehen.

 

Es gibt einen Grund dafür, dass Selbstliebe meiner Meinung nach nicht eigennützig, aber sehr harte Arbeit ist. Ein großer Teil dieser Arbeit besteht nämlich darin, Grenzen zu setzen und seine Zeit nach den eigenen Bedürfnissen und zum Vorteil der eigenen Gesundheit einzuteilen. Wenn man eine besonders selbstlose Person ist oder es gewohnt ist, sich um andere zu kümmern, kann es sich so anfühlen, als ob die eigenen Bedürfnisse keine Priorität sein sollten. Doch ich habe immer und immer wieder erlebt, dass ich müde bin und mich leer fühle, wenn ich mich nicht priorisiere. Und in diesem Zustand bin ich anderen gegenüber weder nett noch herzlich.

 

Für mich gehört dazu, Einladungen zu Social Events abzulehnen, auch wenn ich gerne hingehen würde. Ich frage mich selbst häufiger, wie ich mich fühle – mental und körperlich – und was ich gerade in diesem Moment brauche. Mehr Schlaf? Einen Spaziergang im Park? Eine Auszeit von der Arbeit? Als Freelancer bin ich extrem schlecht darin, mir Tage frei zu nehmen. Ich habe damit begonnen, mir freie Tage im Kalender zu markieren, um mich daran zu erinnern, auch mal Pause zu machen. Außerdem schreibe ich Tagebuch, um meine Gedanken und Gefühle festzuhalten. Dabei kommen oft Dinge auf, von denen ich gar nicht wusste, dass ich sie in mir trage. Ich schreibe auch meine Erfolge auf, um zu meinem zukünftigen Ich herzlich zu sein und mich daran zu erinnern, dass ich stolz auf mich sein kann. Wenn ich mich überfordert fühle, schalte ich die Benachrichtigungen auf meinem Handy auf stumm und sage den wichtigsten Menschen in meinem Leben, dass sie mich in einem Notfall einfach anrufen sollen.

Unter diesen Umständen bin ich am besten dazu in der Lage, anderen Personen gegenüber nett zu sein und mit offenem Herzen durch das Leben zu gehen. Wenn ich dafür etwas Zeit für mich nehmen muss, dann ist das doch eigentlich absolut uneigennützig, oder?

 

Poorna Bell ist preisgekrönte Broadcast-Journalistin, Rednerin und Powerlifterin. Sie hat zwei Bücher geschrieben: Chase the Rainbow und In Search of Silence, und ihr drittes Buch wird demnächst veröffentlicht.

 

@PoornaBell